Urlaub, Urlaubsverfall und Urlaubskürzung am Beispiel Langzeiterkrankung
Insbesondere bei älteren Arbeitnehmern mit mehreren Jahren krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und noch nicht genommenem Resturlaub aus der Zeit vor der Krankheit ist für den Betrieb die Abwicklung der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers sorgfältig zu klären.
Dafür folgendes Beispiel: Der Arbeitnehmer hat schon im Betrieb gelernt, ist ohne schriftlichen Arbeitsvertrag, 63 Jahre alt, hat zuletzt 30 Tage Urlaub im Jahr bekommen und hat vor der Krankheit jeden Tag in der Firma gearbeitet. Aus 2018 und 2019 sind noch jeweils acht Tage Resturlaub offen. 2020 war der Arbeitnehmer zunächst für vier Monate erkrankt nach seinem dreiwöchigen Jahresurlaub im Juni. Seit Anfang Dezember 2020 ist er dauerhaft erkrankt. Der Arbeitnehmer möchte im Juli 2023 vom Betrieb eine Urlaubsabgeltung haben.
Dem Betrieb ist bei allen schwierigen Situationen stets zu empfehlen, mit einer guten Sachverhaltsaufklärung zu beginnen. Im hier vorliegenden Fall beginnt das bei der Frage, wie viele Urlaubstage bestehen. Dazu vorab: Die allerwichtigste Regel bei Urlaubsabgeltung ist: Keine Urlaubsabgeltung vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses.
In welchem Umfang entsteht Urlaub?
Ansprüche auf Urlaub entstehen ab dem ersten Tag des Beschäftigungsverhältnisses unabhängig davon, ob auch tatsächlich gearbeitet wurde. Das bekannteste Beispiel für Urlaub ohne Arbeit ist der Krankheitsfall, wo der Arbeitnehmer auch bei der längsten Krankheit in jedem Kalenderjahr stets erneut den gesamten Jahresurlaub erhält.
In welchem Umfang Urlaubstage entstehen, hängt vorrangig vom Arbeitsvertrag ab. Beim schriftlichen Arbeitsvertrag gilt, was darin vereinbart wurde. Beim mündlichen Arbeitsvertrag gilt, was die betriebliche Praxis ist, also wie viel Urlaub der Arbeitnehmer über mehrere Jahre tatsächlich erhalten hat. Der wichtigste Umstand dabei ist die Anzahl der Arbeitstage in der Woche, und zwar unabhängig davon, ob die Arbeitsstunden gleich- oder ungleichmäßig verteilt sind. Jeder Arbeitstag wird unabhängig von seiner Stundenzahl beim Urlaub gleich gewertet. Dies wirkt sich insbesondere dann aus, wenn die Anzahl der Arbeitstage in der Woche verändert werden. Die Anzahl der Urlaubstage erhöht oder vermindert sich jeweils um 1/5 für jeden geänderten Urlaubstag.
Gemäß dem Beispielfall hat der Arbeitnehmer auch ohne schriftliche Vereinbarung Anspruch auf 30 Arbeitstage im Kalenderjahr, was sich durch die Krankheit nicht verändert hat. Demnach sind für den Zeitraum von 2018 bis einschließlich 2023 für sechs Kalenderjahre insgesamt 180 Urlaubstage entstanden, der Urlaub für 2023 bereits im Juli 2023 in voller Höhe mit 30 Urlaubstagen, weil nach dem Bundesurlaubsgesetz ein am 1. Juli bestehendes Beschäftigungsverhältnis für den Anspruch auf den gesamten Jahresurlaub ausreicht.
Von den 180 Tagen Gesamturlaub sind als genommene Urlaubstage 2 x 22 Urlaubstage für 2018 und 2019 und 15 Urlaubstage für 2020 abzuziehen, sodass 121 Urlaubstage verbleiben.
Kann Urlaub gekürzt werden?
Gesetzlich sind Kürzungen von entstandenen Urlaubstagen nur in sehr geringem Umfang vorhanden und als Ausnahmefall zu sehen, wie etwa bei dem in der Praxis häufiger vorkommenden Fall der Elternzeit. Bei der Elternzeit kann der Betrieb für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit den Urlaub anteilig um 1/12 kürzen. Diese Kürzung tritt aber auch nur dann ein, wenn der Betrieb die Kürzung ausdrücklich gegenüber dem Arbeitnehmer schriftlich geltend macht.
Eine weitere Kürzung außerhalb der gesetzlichen Ausnahme Elternzeit besteht im Ausnahmefall, dass ein vollständiges Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde, wenn der Arbeitnehmer ganze Kalendermonate unbezahlt freigestellt wird. Ein Beispiel wäre die Zeit der Meisterprüfung, weil dann das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung wie bei dem vorgenannten Beispiel der veränderten Anzahl der Arbeitstage in der Woche inhaltlich verändert wird.
Ein weiterer Ausnahmefall ist es, wenn es zu dem übergesetzlichen Urlaub gesonderte Regelungen gibt, also bei dem Mehrurlaub, der über die 20 gesetzlichen Urlaubstage im Jahr liegt. Sei es im Arbeitsvertrag selbst oder in einem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag. Im SHK-Urlaubstarifvertrag beispielsweise kann der übergesetzliche Urlaub ab acht Monaten Krankheit sogar vollständig gekürzt werden, wenn der Arbeitnehmer weitere Monate erkrankt ist, also um zehn Tage.
Im Beispielfall kann kein Urlaub gekürzt werden, weil es keine Elternzeit ist, kein ruhendes Arbeitsverhältnis vereinbart wurde und es keine gesonderten Regeln für eine Kürzung des übergesetzlichen Urlaubs gibt. Es verbleiben weiterhin 121 Urlaubstage.
Ist Urlaub verfallen?
Ein Urlaubsverfall bedeutet, dass der Urlaub ersatzlos entfällt, als hätte es den Urlaub niemals gegeben. Der gegenwärtige Rechtsstand ist so, dass der gesamte Jahresurlaub 15 Monate nach dem Ende des Kalenderjahres, in dem der Urlaub entstanden ist, verfällt, wenn der Arbeitnehmer die ganze Zeit über durchgehend erkrankt ist.
Im Beispielfall ist der Arbeitnehmer 2020 zum ersten Mal länger erkrankt, aber nicht durchgehend. Die durchgehende Erkrankung erfolgt erst ab Dezember 2020, sodass erstmalig die 30 Tage Urlaub aus 2021 verfallen sein können. Die 15 Monate Dauerkrankheit für den Urlaub 2021 sind am 31. März 2023 erfüllt, sodass diese 30 Tage Urlaub aus 2021 im Juli 2023 ersatzlos verfallen sind. Für den Urlaub aus 2022 und 2023 sind die 15 Monate zeitlich noch nicht erfüllt, sodass der Urlaub aus 2022 und 2023 nicht verfallen ist. Es verbleiben somit noch 91 Urlaubstage.
Ebenso ist es gegenwärtiger Rechtsstand, dass Urlaub bei nicht durchgehender Erkrankung bereits am Ende des Kalenderjahres der Entstehung verfällt, wenn in der ersten Kalenderwoche eine schriftliche Urlaubsbelehrung darüber erfolgt ist, in der darüber aufgeklärt wird, wie viel Urlaub zum Zeitpunkt des Schreibens besteht. In unserem Beispiel sind dies Anfang 2020 16 Tage Urlaub aus den Vorjahren und 30 Tage aus 2020, also 46 Tage Urlaub mit dem Hinweis auf den ersatzlosen Verfall am Ende des Kalenderjahres. Wenn der Betrieb diese Urlaubsbelehrung stets am Anfang des Kalenderjahres vorgenommen hätte, wären die 15 Tage Resturlaub aus 2020 und der Urlaub aus 2021 und 2022 bereits ersatzlos verfallen, immerhin 75 Urlaubstage, und es wären nur 46 Urlaubstage verblieben. Mangels Urlaubsbelehrung verbleibt es bei den 91 Urlaubstagen.
Für den übergesetzlichen Urlaub sind gesonderte Regelungen im Arbeitsvertrag oder in dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag für einen vorzeitigen Verfall vor den 15 Monaten Dauerkrankheit möglich, meist zum Jahresende oder zum 31. März des Nachfolgejahres wie etwa im aktuellen SHK-Urlaubstarifvertrag.
Im Beispielfall gibt es keine solchen gesonderten Verfallsregelungen für den übergesetzlichen Urlaub, sodass es bei 91 Urlaubstagen verbleibt.
Wann sollte eine Urlaubsklärung erfolgen?
Eine Urlaubsklärung über eine Urlaubsabgeltung sollte erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses oder zusammen mit einem Aufhebungsvertrag mit Zahlung der Urlaubsabgeltung nach dem vereinbarten Ende des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen, wobei der ideale Zeitraum für diese Vereinbarung der Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni ist. Vor dem 1. April sollte eine Urlaubsklärung nicht erfolgen, weil dann noch kein Urlaubsverfall für das vorvorherige Kalenderjahr erfolgt ist, und vor dem 1. Juli sollte sie stattfinden, da ansonsten bereits komplett neuer Jahresurlaub entstanden ist.
Eine Urlaubsabgeltung ohne Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann dazu führen, dass Urlaub abgegolten wird, der an sich ersatzlos verfallen wäre und/oder dass eine unwirksame Urlaubsabgeltung erfolgt: Nach der Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer in einem bestehenden Arbeitsverhältnis nicht auf den aktuellen Urlaub verzichten.
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